Balance zwischen europäischen Technikenund japanischer Finesse

Tohru Nakamura im Portrait und Interview ChefHeads-Magazin Juli

– Kindheit zwischen zwei Küchenwelten
Es begann in München, an einem sonnigen Herbsttag des Jahres 1983. Mitten in dieser pulsierenden Stadt erblickte Tohru Nakamura das Licht der Welt – Sohn einer deutschen Mutter und eines japanischen Vaters. Er erinnert sich heute noch lebhaft an die Aromen seiner Kindheit: das zarte Aroma von Miso-Suppe, die seine Mutter liebevoll zubereitete, und das leise Zischen des Gemüses, wenn sein Vater es in der Pfanne knackig briet. Manchmal stand der kleine Tohru auf einem stabilen Hocker, um einen besseren Blick auf die Aktion zu haben, beobachtete das Jonglieren von Zutaten und das geduldige Rühren im Topf. „Ich habe gelernt, dass jede Zutat etwas erzählt“, sagt er später. Diese Erkenntnis begleitet ihn bis heute und bildet das Fundament seiner künstlerisch-puristischen Küche

– Die ersten Schritte in der Sterneküche
2004 trat er seine Lehrstelle im traditionsreichen Hotel Königshof in München an. Unter dem wachsamen Auge von Sternekoch Martin Fauster lernte er die Poesie der französischen Klassiker und den Wert unbeirrbarer Disziplin. 2008 folgte der Sprung in die gehobene Sterneküche – ins Vendôme unter Joachim Wissler. Dort, zwischen Sous-vide und perfekter Garmethode, festigte er sein technisches Handwerk. Doch sein Hunger nach dem Unbekannten trieb ihn weiter: 2010 zog es ihn ins südliche Holland, zum niederländischen Spitzenkoch Sergio Herman ins legendäre Restaurant Oud Sluis. Dort entdeckte Tohru Verbundenheit zur Natur und die Freiheit spielerischer Kreativität. 2012 kehrte er zurück – nicht nach Nürnberg oder Frankfurt, sondern nach Tokio: für Traineeships bei Meisterköchen wie Ishikawa, Sushi Ito und Hassun. Die Reinheit der japanischen Küche war für ihn ein Augenöffner, ein Stillstand der Sinne, den er in sein Innerstes übernahm.

– Der eigene Weg im Werneckhof
Zurück in München, übernahm er 2012 die Küche im Werneckhof by Geisel. Hier wurde sein Stil endlich sichtbar, formte sich aus Technik, Naturverbundenheit und einem Herz, das laut für Natürlichkeit schlug. 2014 wurde er erstmals mit einem Michelin‑Stern ausgezeichnet, 2016 folgte der zweite. 2020 erreichte er 19 Punkte im Gault‑Millau – ein Ritterschlag für die Qualität seiner Handschrift.
Doch auch ein Visionär braucht Freiheit. 2020 folgte sein Pop‑Up „Salon Rouge“ mitten in der Pandemie, ein Ausbruch aus dem Alltäglichen, eine Avantgarde der Geschmackskunst. Und jedes Stück Kreativität, das sprudelte, war ein Puzzleteil seiner nächsten Lebensphase.

– Die Schreiberei wird Heimat
Im Dezember 2021 öffnete Tohru in der Schreiberei seine Pforten – in einem denkmalgeschützten Haus im Herzen Münchens. Die Atmosphäre war intim, die Tische nah beieinander, die Räume atmeten Geschichte. Und die Küche? Sie war präzise wie ein Uhrwerk – zehn Gänge, zehn Geschichten.
Schon 2022 folgten zwei Michelin‑Sterne. Und im Juni 2025, während das Spotlight einer großen Gala in Frankfurt auf ihn fiel, wurde die Geschichte komplett: drei Michelin‑Sterne – ein Meilenstein für ihn, für München und für die deutsch-europäische Gourmetszene. Es war, als würde ein Kindheitstraum in Vollendung glühen.

– Was die Küche möglich macht
Das Menü ist sein Manifest: Royal Belgian Caviar trifft auf Oscietra-Auster; Ozaki Wagyu vereint sich mit Koshihikari-Reis, auberginigen Rauch und rätselhaften Myoga-Aromen. Es sind Gerichte, bei denen jedes Detail zählt. Denn Tohru vereint hier zwei Seelen: japanische Klarheit und französische Struktur.
Ein Zitat von ihm: „Jedes Gericht erzählt eine eigene Geschichte“. Und er meint es: Da ist der slow-cooked Heilbutt, umhüllt von zarter Habanero-Säure; da sind Aromen von Wald und Wiese, in Form von Mikrokrautern, die er aus dem Umland bezieht – regional, bewusst, nachhaltig. Sein Credo ist klar: Qualität entsteht in Respekt vor dem Produkt und in der ruhigen Hand des Kochs.

– Körper, Geist, Tagebuch
An einem gewöhnlichen Tag arbeitet er zwölf, manchmal fünfzehn Stunden. Morgens schon Fleisch besprechen, mittags Gemüse frisch zertifizieren, abends die letzten Teller anrichten. Doch Tohru bleibt menschlich. Einmal erzählt er, er müsse sich abends bei seiner Familie entschuldigen: „Ich bin so intensiv bei der Arbeit, fast mit Kopf und Herz dort.“ Seine Frau sei da jede Stunde seine Stütze – und seine beiden Kinder, 2 und 5, sind sein Glück. Die Wohnung in München ist eine Mischung aus Ruheoase und Versuchslabor – ausgestattet mit Gaggenau-Geräten, die ihm die Präzision ermöglichen, von der er in der Spitzenküche lebt. Und privat? Japanische Mayonnaise traut sich auf Omelette, auf Brot – ganz heimlich.

– Bühne & Medienwirksamkeit
Er ist kein scheues Rehlein – weder auf der Bühne noch in der Kamera. In „The Taste“ sitzt er als Juror, in Kitchen Impossible stellt er sich Tim Mälzer in Japan‑Deutschland‑Duellen. Er weiß: Sichtbarkeit ist ein Werkzeug, keine Ablenkung. Sympathisch, bodenständig, immer mit einer Prise Humor – so erreicht er mehr als nur Gourmets: Er erreicht die Öffentlichkeit.

– Die Geste, die bleibt
Der Tag der dritten Sterne-Verleihung in Frankfurt – er beschrieb ihn als kristallklar, emotional: „Ein Moment, in dem ein Kindheitstraum Wirklichkeit wurde.“
Für München war es ebenso ein Kulturschock: zum ersten Mal erhielt ein Restaurant aus der Stadt drei Sterne. Ein Ritterschlag für ganz Bayern – und ein Signal: München ist nun Teil der europäischen Gourmet-Elite. Seine Stadt hat Würde bekommen im Lichterglanz internationaler Spitzenköche.

– Bilanz, Blick nach vorn
Tohru spricht nicht von Expansion, von weiteren Filialen. Er spricht von Tiefe und Reife. Ein Kochbuch, in dem er seine japanisch-deutsche Fusion erklärt; Charity-Menüs; mehr Social-Media-Dialog – alles in Ruhe, alles bewusst. Seine Mission: den Moment perfektionieren, weiter lernen, weiter staunen lassen.

– Der leuchtende Faden
Die Geschichte Nakamuras ist eine Erzählung von zwei Küchen – von Tradition und Moderne. Es ist die Reise eines Jungen, der beim Kochen das Staunen entdeckte. Die seiner Mutter, seines Vaters, aber auch seiner Mentoren – von Tokio bis Schloss Bensberg. Sein dritter Michelinstern ist kein Abschluss. Er ist ein heller Punkt in einem sich stets erweiternden Universum – ein kostbarer Stein in einem Kunstwerk, das niemals fertig wird. Und während der letzte Scheinwerfer erlischt, bleibt eines: ein leuchtender, unvergänglicher Faden, der ihn und uns zu neuen Geschmackswelten führt.

Tohru
Burgstraße 5
80331 München
+49 89 21529172
kontakt@schreiberei-muc.de
Web: https://schreiberei-muc.de/
Bar Tatar
Dienerstr 20
80331 München
+49 89 21529173
kontakt@schreiberei-muc.de

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Guido Fritz
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